Predigt über Johannes 1, 1-5, 9-14
am 1. Weihnachtstag 2018 , Heilig-Kreuz-Kirche
Gnade sei mit euch vom Gott des Friedens und unserem Meister und Heiland Jesus Christus!
Liebe Gemeinde,
Wir haben den Heiligabend hinter uns, fröhlich und lachend oder traurig haben wir ihn erlebt, sehnsuchtsvoll oder enttäuscht, reich beschenkt und vielleicht voller Erinnerungen an Zeiten, die einmal waren. Ich hoffe, dass ihr ihn erfüllend und dankbar erlebt habt.
Als wir heute in die Kirche kamen, da ahnten wir schon, dass wir viel weniger sein werden, als gestern Abend. Da ahnten wir schon: Heute kommen die, die noch tiefer eindringen wollen in die Wahrheit, dass Gott zu unserem Wohl in einem jüdischen Kind Mensch geworden ist.
Und es ist gut, dass ihr da seid, dass ihr noch näher heranrücken wollt an diese Wahrheit. Es ist eine Wahrheit oder besser ein Geheimnis, von dem wir manchmal den Eindruck haben können, dass wir es befreien müssen, dass es wie eine kleine Krippe unter dem Tannenbaum unter Bergen von Geschenkpapier zu verschwinden droht, dass es verschwindet in den manchmal verwirrenden Gefühlen, denen wir in diesen Tagen ausgesetzt sind.
Wir also, heute morgen, wollen noch tiefer eindringen, wollen näher an dieses Kind Jesus heranrücken, wollen frei von der Schönheit und Verwirrung des Heiligen Abends mit klarem Kopf und klarem Herzen Weihnachten feiern.
So gespannt und eingestimmt hören wir einen Predigttext, der es uns beim ersten Zuhören nicht leicht macht, weil er uns so anders erzählt vom Kommen Gottes, als wir es gestern abend gehört haben. Ich lese einige Verse noch einmal vor:
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen. 14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
So beginnt Johannes sein Evangelium. Er stellt einen inneren Bezug her zu dem Beginn der Bibel, zum 1. Buch Mose. „Am Anfang“, heißt es da, „schuf Gott Himmel und Erde“. Und wie tat er das? Durch Worte. „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht“. Immer wieder hören wir dort die Formulierung: „Und Gott sprach“ und dann geschieht etwas. Das Wort Gottes erschafft. Erschafft Erde, Tiere Menschen, Leben.
So auch hier. „Im Anfang war das Wort“ Ein bisschen klingt der Text des Johannes wie ein Lied, ein Gedicht, das uns eine Wahrheit enthüllen will und sie doch gleichzeitig wie ein Geheimnis verschlüsselt zu uns kommen lässt.
Ich blieb hängen bei der Formulierung „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“. Fleisch steht da, (Sarx im griechischen Urtext). Ich blieb hängen, weil das Wort „Fleisch“ so gar nicht poetisch klingt, sondern sehr natürlich, irdisch. Fleisch!
Biblisch ist mit diesem Begriff das irdische Sein, das Menschsein, auch Vergänglichkeit, Zerrissenheit markiert. Johannes hatte, als er dieses Wort wählte, wahrscheinlich doketische Strömungen vor seinem inneren Auge. Die Doketisten waren frühchristliche Gruppen, die davon ausgingen, dass Christus nur ein Trugbild, eine Erscheinung, unkörperlich und gestaltlos, kein irdischer Mensch gewesen sei. Dem hält Johannes entgegen: Jesus war Fleisch, war ganz Mensch.
Karl Barth schrieb dazu 1926: „Das unterscheidet das Weihnachtsevangelium von allen wehmütig optimistischen Träumereien: das Wort Gottes ist da, wo wir selbst sind: nicht, wo wir vielleicht gerne wären, nicht auf einer der Höhen, die wir vielleicht bei einigem Glück und gutem Willen gelegentlich wohl erklettern können, sondern da, wo wir uns, ob König oder Bettler, tatsächlich vorfinden: in der Zerrissenheit, in der wir (dem Tode entgegen!) erscheinen im „Fleische““.
Als ich das las, habe ich mich gefragt, wie wir uns heute Jesus als Mensch vorstellen, ob nicht auch unsere Vorstellung noch sehr an Idealen, aber nicht an realem Menschsein orientiert ist. Das Baby in der Krippe ist einfach ein jüdisches Baby, es ist immer vollkommen und frisch. Aber, habt ihr euch schon mal vorgestellt, dass Jesus als 13 Jähriger vielleicht Pickel hatte? Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, ob er vielleicht mit Fettleibigkeit oder Verdauungsproblemen zu tun hatte? Ob er stark schwitzte oder wie er wohl mit seinen sexuellen Bedürfnissen umging? Ich vermute, dass ihr das genauso selten getan habt wie ich. Aber gehört es nicht zum Menschsein dazu?
Wo immer wir bildliche Darstellungen von Jesus sehen, ist er fast immer so ein Idealtypus, groß und schlank und schön. Haben wir wirklich schon verstanden, dass er ganz Mensch wurde? Mit allem, was dazu gehört und auch uns in unserem Alltag beschäftigt, plagt, erfreut? Anders ist es nur in der Passionsgeschichte. Da ist er oft auch der Verzweifelte und Fragende, der Ängstliche, der Leidende, der Verletzte, manchmal der Ausgemergelte.
In einer Predigt ( von Pfr. z.A. Walter Lechner) fand ich diese Frage weiter gedacht und das klang bei dem Prediger dann so:
„Gott wird Mensch – ein wirklicher Mensch, mit allem, was dazu gehört. Und dazu gehört so manches.
Gott wird Mensch. Und der Mensch ist:
Liebe und Grausamkeit, Verschlagenheit und Barmherzigkeit.
Der Mensch ist: magersüchtig, fettleibig, ordentlich, auch liederlich, Festtagsbraten, Nahrungskrise, tanzen auf der Frühlingswiese, an der Börse Spekulant, übersättigt, abgebrannt.
Gott wird Mensch. Der Mensch ist:
Hochzeitsfoto, Seitensprung, betriebsbedingte Kündigung,
Streicheleinheit, heiße Liebe, kalte Schulter, dunkle Triebe,
solidarisch, ohne Job, Kleinfamilie, großer Mob.
Gott wird Mensch.
Der Mensch ist: Bombensplitter, Blitzlichtgewitter, im Nadelstreif, oft urlaubsreif, gern bequem, rechtsextrem, leicht vergesslich, hochverlässlich.
Gott wird Mensch. Der Mensch ist:
Schneeballschlacht, Supermacht, grundverkehrt, liebenswert, gottvergessen, machtversessen, voll Vertrauen, echtes Grauen.
Gott wird Mensch. Der Mensch ist: Opfer, Täter, Weinen, Sünder, hilfsbereit, vergessne Kinder.
Der Mensch ist: stinkende Socken. Kinderlachen. Auschwitz. Gott wird Mensch“.
Diese Beschreibung konnte ich als eine Beschreibung von Menschsein lesen, nicht aber als eine Beschreibung von Jesus Christus. Warum nicht? Das Wort ward Fleisch heißt es und in dieser Gleichung darf man nicht übersehen, dass das Wort, also Gott, redet, handelt, Mensch wird, also dass Gott sich offenbart, nicht das Fleisch offenbart sich als solches.
Dennoch bleibt hier eine nicht aufzulösende Ungleichheit, ein Rätsel, ein Geheimnis. Ein Rätsel, das schon zu Jesu Lebzeiten oft in die eine oder andere Richtung aufgelöst wurde. Die einen haben ihn als Gesellen der Zöllner und Sünder, der Weinsäufer und Fresser gesehen, als Gotteslästerer, der ans Kreuz zu schlagen war. Die anderen verstanden ihn als den Gerechten und den König, den sie schon so lange ersehnten, als den, der ein Mensch, aber gerade ohne Sünde war und uns so zeigte, wie Menschsein der ganzen Menschheit möglich sein kann und sie heilt.
Ich weiß nicht, wie ihr dieses Rätsel in eurem Glauben löst. „Wahrer Mensch und wahrer Gott – unvermischt und ungetrennt“ sagten Christen 451 beim Konzil in Chalcedon. Das löst das Rätsel nicht, sondern hält nur zusammen, was da zusammen bedacht werden muss.
Für mich ist es so, dass ich in Christus erkennen kann: er ist ein Mensch wie ich, mit allem, was Menschen an Bedürfnissen und Belastungen, Hoffnungen, Sehnsüchten Ängsten und Vergänglichkeit ausmacht. Da ist er mir sehr nah, ist an meiner Seite.
Und gleichzeitig ist er auch ein Mensch, der sich von mir sehr unterscheidet, der so mit Gott verbunden war, dass er uns als Mensch vorleben konnte, wie Gottverbundenheit das Leben schön und gerecht macht, uns über unsere Begrenzungen hinaus hebt. Er hat eine Klarheit und ein Gottvertrauen gelebt, das nicht das meine ist, vor dem ich großen Respekt habe und das meinen Glauben anfacht und ermutigt.
Ich glaube Johannes kannte dieses Rätsel oder Geheimnis auch. Er hat es poetisch ausgedrückt mit den Worten: „Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.“ Also: Gott bleibt in Christus Licht und die Finsternis der Welt, seiner Existenz auf Erden, kann das Licht nicht auslöschen. Er bleibt Licht.
Im Text wird das noch einmal verstärkt mit den Worten:
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Wir können in dem Menschen Christus Gottes Herrlichkeit erkennen. Gott kommt in ihm in unsere Welt, um Licht zu verbreiten. Hier wird eine von Gottes Rettungsaktionen beschrieben. Die im Dunkeln wohnen können teilhaben am Licht, die Geknechteten können teilhaben an Freiheit und die vom Tode Gezeichneten am Leben. Gott wendet sich nicht ab von der Welt, sondern zieht in sie ein, nimmt Herberge unter uns, damit sie gottvoll werde.
Es gibt nur eine Möglichkeit, liebe Gemeinde, herauszufinden, was es denn mit diesem Mensch gewordenen Gott auf sich hat, ob er denn die Kraft hat, die Welt zu verändern, uns und mich zu verändern. Wer Jesus Christus für mich ist und für uns ist, finden wir nur heraus, wenn wir uns ganz auf ihn einlassen. Wenn wir mit ihm gehen. Das ist ganz wörtlich gemeint, ist nie einfach ein Gedankenspiel oder ein nur innerseelischer Vorgang. So wie die ersten Jünger und Jüngerinnen alltäglich mit ihm lebten, seine Nähe suchten, mit ihm unterwegs waren, von Ort zu Ort. Das waren auch sehr leibliche Erfahrungen des gemeinsamen Essens, der gemeinsamen Erfahrung von Menschen in Not und von Heilungs- Fest- und Glücksmomenten. Jesus Christus erkennt nur, wer mit ihm geht, sich einlässt, seine Wahrheit im eigenen Leben leuchten lässt.
Und manchmal, manchmal auf unserem Lebensweg halten wir dann inne und staunen. Wie kam das eigentlich? Was war der Anfang, dass wir zueinander fanden? Einen solchen Moment des Staunens möchte ich euch am Ende mit Worten von Kurt Marti zitieren:
„Auch heute wieder
frag ich mich,
wer du warst oder bist,
was du willst.
Viele
wissen das besser;
einige folgen dir nach.
Wie aber kommst du auf mich?
Bin doch nicht der, den du brauchst!
Dennoch, dennoch
komme ich nicht los
von dir“.
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Ja, Gott sei Dank und Amen.
Ute Gniewoß